room_experience #1

room_experience ist eine Konzertreihe im Rahmen des SILK::ROAD Festivals, welches zeitgenössische Musik, Kunst und Performance im Dialog mit traditioneller Musik aus den Ländern der Seidenstraße setzt. Der räumliche Fokus stärkt die sinnliche Wahrnehmung und lässt Musik, Kunst und Performance in einem neuen Kontext erklingen.

Die historische Seidenstraße wird oft mit den Abenteuern des Marco Polo, Luxuswaren und Kamelkarawanen assoziiert, während die politische Dimension meist ausgeblendet bleibt. Dabei wurden auch Sklaven gehandelt und über die Seidenstraße kam die Pest nach Europa, der Millionen zum Opfer fielen. Das trifft genauso auf die Gegenwart zu. Etliche Regierungen von Ländern, in denen Bauprojekte für “One Belt - One Road” umgesetzt werden, mussten sich Widerständen aus der Bevölkerung stellen. Ist es möglich, dass “One Belt - One Road” auf Jahrzehnte hinaus die Weichen für die Entwicklung der Weltwirtschaft stellen wird? Wo ist der Platz Europa in der Seidenstrasse?

room_experience ist eine Konzertreihe im Rahmen des SILK::ROAD Festivals, welches zeitgenössische Musik, Kunst und Performance im Dialog mit traditioneller Musik aus den Ländern der Seidenstraße fördert. room_experience setzt den Fokus auf das Räumliche und seine ganzheitlich sinnliche Wahrnehmung. Dabei werden ungewöhnliche Orte ausgewählt, die meist keinen direkten Bezug zur zeitgenössischen Musik, Kunst und Performance aufweisen, wodurch sie einen völlig neuen Kontext erhalten und die Sinne geschärft werden.

 

Wundervolle, überraschende, beglückende Konzertmomente nämlich, die im Alles-wie-immer-Modus viel zu selten vorkommen.

Hamburger Abendblatt

Musikalisches Programm

Gamelan Ensemble: Gamelan Musik und Tanz aus Java

Angklung Orchester: Traditionelle Musik aus Java

Lin Chen & Jelena Dabic: Trommel-Raum-Installation

Mohammed Rafi Bareghzhi & Mostafa Rahsepar: Musik aus Afghanistan

Nour Eddin & Abed Harsony: Musik aus Syrien

Daniel Dominguez Teruel: Diarya of a Pigeon – Episode 4: How to kill an Elephant?

chocococoma & DJ Arepabahn: Live – Cooking – Music - Performance

Besetzung

Jelena Dabic: Konzept, Künstlerische Leitung, Konzertdesign

Lin Chen: große Trommel

Mohammed Rafi Bereghzi: Rubab

Mostafa Rahsepar: Tonbak

Nour Edin: Gesang

Abed Harsony: Oud

Gamelan Ensemble, Angklung Orchester

Daniel Dominguez Teruel: Performance

chocococoma: Chef

Arepabahn: DJ

Credits 

Installation:
Mirella Frenzel
Insa Aden
Vanessa Könemund
Anne Lucas
Mohammed Ponten 
Yinjun Zhang

Music Cooking Show:
Marco Limantara alias Chocococoma (Chefkoch) 
Carlos Andres Rico alias Arapabahn (DJ) 

Technik:  
HAW Hamburg 

mit freundliche Unterstützung der Behörde für Kultur und Medien Hamburg, Claussen-Simon-Stiftung. In der Kooperation mit der HALLO e.V. und dem indonesischen Konsulat Hamburg

Nachgefragt

Welche besonderen gestalterischen Mittel wurden eingesetzt und warum? Welches dramaturgische/szenische Konzept wurde verfolgt?

Das Konzert fand im Sommer stat, wenn die Tage sehr lang sind. Da das Kraftwerk Bille eine Glasdecke hat, wurde dramaturgisch so geplant, dass man mit dem Verlauf des wechselnden Tageslichts arbeitet. Das Konzert begann um 20 Uhr und im Laufe des Konzerts änderte sich die Lichtsituation ganz natürlich, sodass wir auf minimalistische Weise mit wenigen gestalterische Mitteln - beispielsweise der dezente Einsatz von Nebel und der Aromatisierung - einen großen Effekt im rohen Fabrikgebäude erschaffen konnten. Die Besucher*innen wurden dazu ermutigt, die Location in ihrer Gesamtheit zu erkunden, um mehr Sinneseindrücke einfangen zu können. Deshalb war das Konzert so konzipiert, dass entsprechend der Dramaturgie die Räume zwischen den Darbietungen gewechselt wurden. Es begann im Liegen und Sitzen und entwickelte sich zu einer Klangwanderung durch das Kraftwerk. Zunächst bot sich den Besucher*innen mit dem Auftritt des Gamelan Orchestra ein völlig neues Hörerlebnis. Das rohe Betongebäude und die weitläufige Halle des Kraftwerks verliehen der musikalischen Umsetzung eine überraschende Multidimensionalität.

Aufgrund der Gegebenheiten vor Ort wurden die Grenzen zwischen Bühne und Zuschauerraum bewusst aufgehoben, sodass ein rundum wahrnehmbarer, mehrschichtiger Sound entstand. Die multisensorische Wahrnehmung kulturellen Erbes wurde durch die an das Konzert anschließende Music-Cooking-Show ermöglicht, welche draußen im Garten stattfand. Marco Limantara alias Chocococoma bereitete traditionelle indonesische Speisen zu, während  Carlos Andres Rico alias Arepabahn elektronische, von Indo-Klängen inspirierte Musik auflegte. Die Vermittlung seltener Instrumente aus den Ländern rund um die Seidenstraße bildet hierbei ein Kernziel im künstlerischen Konzept.

Beschreibe den künstlerischen und kreativen Entstehungsprozess.

Dieser Entstehungsprozess ging einher mit der Dramaturgie der Musiker*innen im Raum und ihrer Rolle bzw. kulturellen Repräsentation. Die riesige mehrteilige Halle diente konzeptionell als die Weltfläche, auf welcher die Ordnung der neuen Seidenstraße gezeigt wurde. Der Raum wurde zum konstituierenden Faktor der Inszenierung und diente als Mitspieler. Die Musiker*innen wurden entsprechend ihrer Herkunft im Raum verteilt. Das auf der maritimen Seidenstraße liegende Land Indonesien stand bei diesem Konzert im Fokus. Weiterhin wurden die Länder entlang der antiken Seidenstraße, ausgehend von China über dem Iran, Syrien und Afghanistan bis nach Europa Gegenstand dieser künstlerischen Auseinandersetzung.  

Der erste Teil spielte das 18-köpfige Gamelan Ensemble spielte traditionelle Musik aus Java, begleitet von traditionellem Tanz und Gesang. Daraufhin wurden die Türen zum Nebenraum geöffnet, aus dem nach und nach von zwei Seiten die Musiker*innen des Angklung Hamburg Orchestra eintraten und sich musizierend um die Zuschauer*innen herum bewegten. In Abwechslung spielten zwei Musiker aus dem Iran und Afghanistan von der Galerie aus traditionelle Musik der jeweiligen Länder. So ertönten Klänge aus allen Seiten des Raumes. 

Im zweiten Raum auf der Galerie befanden sich zwei syrische Musiker und spielten Liebeslieder. Damit entstand einen absurder emotionaler Kontrast zu den aktuellen Kriegsgebieten der Länder Syrien, Afghanistan und Iran. Zusammen mit der letzten Komposition des Angklung Orchesters hörte man den Sound chinesischer Trommeln aus dem anderen Raum, dem das Publikum folgte. 

Dieser konzeptionelle Bruch zwischen 40 indonesischen Musiker*innen und einer einzigen chinesischen Musikerin im Nachbarraum verdeutlicht dabei die Frage: Wie mächtig ist China als Initiator des Mega-Bauprojekts “One belt, one road”  in der heutigen Weltordnung? 

Inmitten des Raumes befand sich ein goldener Stoff als Sinnbild für Seide. Darunter lag eine riesige unaufgeblasene Vogelfigur aus Gummi und Plastik. Mit den letzten Trommelschlägen blies sich die Figur auf, während die Deutsche Nationalhymne erklang und dann in einer komponierten Moll-Tonleiter-Variante von einem syrischen Sänger gesungen. Das Tuch fiel herunter und der Vogel erschien in seiner Pracht. Aus diesem Vogel wurde ein kleinerer taubenartiger Vogel geboren und alle Musiker in beiden Räumen begannen zu musizieren. (Diarya of a Pigeon, D.T. Dominguez) Das Spiel mit einer der Gegenüberstellung einer “Friedenstaube” zum Bundesadler deutet auf die Frage hin: Welche Rolle hat Europa in der aktuellen Weltordnung entlang der Seidenstraße? 

Welche Erfahrungen in Bezug auf dieses Projekt könnt Ihr mit anderen teilen? Was war positiv, was war negativ? Was hat funktioniert, was nicht?

Ein Konzert an einem Ort zu veranstalten, der bis auf wenige Steckdosen keine Infrastruktur für Veranstaltungen aufweist, ist immer eine Herausforderung. Daher war die technische Realisation sehr anspruchsvoll.  Äußere Faktoren, die sich kurzfristig ändern oder erst geklärt werden können, erfordern eine gewisse Gelassenheit und Spontaneität bei der richtigen Entscheidung. Das sind oft strukturelle Herausforderungen wie finanzielle Absicherung, technisches Equipment oder personelle Ressourcen. Da hilft es immer, die Ruhe zu bewahren und einen guten Plan B in der Hinterhand zu haben. Die Zusammenarbeit mit dem indonesischen Konsulat war großartig und es hat das Projekt stark unterstützt. 

Welche Parameter haben Euch eingeschränkt, was die größte Herausforderung? Wie seid ihr damit umgegangen?

Das Kraftwerk Bille hat keine eigene Infrastruktur. Das ist eine komplett leere Halle, wo alle Gewerke extern beauftragt  und vor Ort installiert werden mussten. So war die technische Umsetzung trotz der minimalen Mitteln sehr aufwendig. Für die Verkabelung und das Licht allein bräuchte man mehr Zeit und mehr Mitarbeiter als wir hatten. Auch die Bestuhlung war eine große Herausforderung. Aus diesem Grund wurde das Konzept minimalistisch geplant, sodass nur ein paar Teppiche, Bänke und Hocker vorbereitet waren und im zweiten Raum bewegten sich die Zuschauer durch die Halle. Das hat sich als ideale Variante für dieses Konzert herausgestellt. Das Konzert lief außerdem mit fließenden Übergängen und ohne Pause. Aufgrund der Größe der Location war die Kommunikation zwischen den Musiker*innen nicht ganz einfach. Sie mussten aufeinander achten und gleich im Anschluss beginnen. Der Einsatz von etwa vier Inspizienten wäre hier sicherlich hilfreich gewesen.

Was habt Ihr persönlich aus diesem Projekt gelernt?

Die ungewöhnliche Konstellation von Musiker*innen ist immer ein konzeptionelles Risiko. Im Kontext der neuen musikalischen Dialoge und in der Spiegelung politischer Widersprüche entstand eine transkulturelle Einheit mit sehr viel Energie in einem auch auf der Bedeutungsebene nackten Raum. Dieses Potential gilt es auch bei zukünftigen Veranstaltungen zu nutzen.