VIOLA / KATHARINA / ISOLDE: Operntrilogie im öffentlichen Raum

Reisebüro, Apotheke, Kunsthalle – der öffentliche Raum verwandelt sich in dieser Operntrilogie durch musik-theatrale Eingriffe in Zonen des geschärften Blicks auf das Hier und Jetzt. Per Kopfhörer schlüpft man in die Hörperspektive der Protagonistinnen draußen auf dem Platz. Gleichzeitig wird man als Objekt im Schaufenster selbst Teil der Installation.

Musikalisches Programm

Mathis Nitschke (*1973): VIOLA/KATHARINA/ISOLDE

Besetzung

Sängerin, Bratschist, Klangregie

Bisherige Aufführungen

VIOLA:

München, Bahnhofapotheke Pasing, 3.-5. Juli 2015 (PasingBy)

Glasgow, St. Enoch Shopping Center, 4. November 2017 (sonica)

Rotterdam, Bijenkorf, 18. und 19. Mai 2019 (Operadagen)

 

KATHARINA:

München, DER Reisebüro Münchner Freiheit, 14. – 17. September 2016

 

ISOLDE:

München, Kunsthalle, 8.-12. Juli 2019

Projektförderung

Mit freundlicher Unterstützung der MGS, des Kulturreferats der Landeshauptstadt München und der Hypo Kulturstiftung.

Schon dass man einfach hier sitzt, ist eine Sensation.

Egbert Tholl über ISOLDE, Süddeutsche Zeitung, 10.7.2019
 

VIOLA

Das Publikum sitzt in der Apotheke und blickt durch die Schaufenster auf den Pasinger Bahnhofplatz. Dort taucht VIOLA auf, eine offenbar traurige und desorientierte Frau. Sie scheint unter Schock zu stehen, den Bezug zu Zeit und Raum verloren zu haben: „Ist das jetzt Innen oder Aussen? Ist heute noch gestern?“

Die Zuschauer können Viola hören, denn spezielle Schallwandler übertragen Violas Stimme auf die Glasscheiben der Schaufenster. Die verwandeln sich so zu einer klingenden und vibrierenden Membran zwischen dem Innen und Aussen. Um Viola aber sehen und erkennen zu können, muss das Publikum seinen Blick scharfstellen auf diesen einsamen und befremdlichen Menschen inmitten des geschäftigen Treibens auf dem Platz.

Viola monologisiert meist, wendet sich aber auch an Passanten und auch direkt an das Publikum – auf sicherer Distanz im geschützten Innen der Apotheke –, bevor sie nach vergeblichem Versuch der Kontaktaufnahme wieder in der Anonymität verschwindet. Zurück bleibt nur ihre Verlorenheit, ihre Einsamkeit.

Viola
 

KATHARINA

Wertlos. Ortlos. KATHARINA hat alles verloren: den Liebhaber, den Job, die Wohnung. Sie kämpft gegen das Vergessenwerden an und entwickelt darüber extreme, gehässige Energien. Das geschäftige Treiben auf der Münchner Freiheit dient als Bühne für eine Kunstfigur, die im Begriff ist, die normativen Grenzen gesellschaftlichen Verhaltens endgültig zu überschreiten.

Das Reisebüro – ein Ort der Sehnsucht in die Ferne – verwandelt sich durch den musik-theatralen Eingriff in eine Zone des geschärften Blicks auf das Hier und Jetzt. Per Kopfhörer schlüpft man in Katharinas Kopf, in die Hörperspektive der Protagonistin draußen auf dem Platz. Gleichzeitig wird man als Objekt im Schaufenster selbst Teil der Installation.

Musikalisch übernimmt KATHARINA Teile aus Henry Purcells Oper ‚Dido & Aeneas‘ und remixed sie mit Drum’n’Bass Elementen und einem Cembalo, das die Entwicklung der Figur kontinuierlich begleitet: statt an gebrochenem Herzen zu sterben wie Purcells Dido, verwandelt sich hier Katharina zur Furie.

Katharina
 

ISOLDE

Die Fußgängerzone vor der Kunsthalle München: Dort taucht eine Obdachlose auf, ISOLDE, inmitten lustvoll shoppender, gut gekleideter Menschen. In der Hoffnungslosigkeit ihrer Existenz verklärt sie alles Gewöhnliche zu Kunst. Geräusche aus ihrer Erinnerung fügen sich ein in eine Orchestrierung des urbanen Klangraums. Alles, was sie hört, wird zu einem weltumfassenden Gesang, in dem sie wie Wagners Isolde Erlösung durch Tod und Wiederauferstehung in der Liebe findet.

Ähnlich wie schon bei Viola und Katharina sitzt das Publikum nach Kassenschluss im Eingangsbereich der Kunsthalle, mit Blick durch die Glasscheiben auf die Fußgängerzone. Mithilfe von Körperschallwandlern werden die Fenster zur klingenden Membran, die das Innen mit dem Außen verbindet.

Die Musik basiert auf Motiven und Ausschnitten aus Werken von Richard Wagner (Liebestod, Im Treibhaus). Zusätzlich erklingt „Volte-Face“ für Bratsche solo von Georges Aperghis, mit freundlicher Genehmigung des Komponisten.

Isolde
Welche besonderen gestalterischen Mittel wurden eingesetzt und warum? Welches dramaturgische/szenische Konzept wurde verfolgt?

Das Publikum sitzt in einem Ladengeschäft mit großen Fenster, das durch die Bestuhlung und der daraus folgenden Sichtachse zur Leinwand des öffentlichen Lebens wird. Darin taucht dann die Sängerin auf, kaum zu unterscheiden von den Passanten. Der profane öffentliche Raum wird durch die Inszenierung und Musik zur künstlerischen Bühne. Gleichzeitig werden die Zuschauer im Inneren von den Passanten draußen entdeckt und betrachtet.

Beschreibe den künstlerischen und kreativen Entstehungsprozess.

VIOLA entstand aus dem ganz konkreten Auftrag, das etwas desolate Areal in Pasing künstlerisch zu bespielen. Ich habe dort einen Ort gesucht, der mich dazu inspiriert hat, überhaupt eine Art von Musik-Theater, von Oper aufzuführen und bei der Begehung dieser Gegend ist mir aufgefallen, dass es unglaublich viele Apotheken und unglaublich viele Ärzte gibt. Das Thema Krankheit ist dort ganz massiv vertreten. Das hat mich interessiert: was ist normal, was nicht, was ist krank? In der Apotheke habe ich die Situation geschaffen, dass man durch das Schaufenster rausschaut. Wo man doch eigentlich reingucken soll, da sucht man draußen. Dieses Scharfstellen nach jemandem, der da draußen durch das Gewühl wuselt, das war der Ausgangspunkt für diese ganze Trilogie. Ist der oder die da draußen normal?

Welche Erfahrungen in Bezug auf dieses Projekt könnt Ihr mit anderen teilen? Was war positiv, was war negativ? Was hat funktioniert, was nicht? 

Es macht großen Spaß, mit privaten Partner zusammenzuarbeiten wie der Apothekerin oder dem Reisebürokaufmann. Die vielgesuchte Grenzüberschreitung fand hier ganz praktisch statt. Man tritt in Kommunikation mit Menschen, die sonst kaum in ein Konzert gehen und tritt in beiderseits sehr spannende Kommunikation darüber.

Was habt Ihr persönlich aus diesem Projekt gelernt?

Grenzüberschreitungen können auch problematisch sein: in den Proben hat sich die inszenierte Situation für die Passanten nur langsam oder gar nicht erschlossen, was kraft der überzeugenden Darstellung von Martina Koppelstetter zu Hilfsangeboten von Mitmenschen führte. Denen gegenüber hatten wir ein schlechtes Gewissen. Die Stücke sind vor allem auch soziae Studien. Es war faszinierend die Reaktionen der Besucher und Passanten aus Deutschland, Schottland und Holland zu vergleichen. Sie waren sehr unterschiedlich.