Wie MAYA auch ein wirtschaftlicher Erfolg wurde

Wie ich es schaffte, ein Publikum für ein frei finanziertes experimentelles Musiktheaterstück zu gewinnen und es genoss, kreative unternehmerische Strategien auf ein öffentlich gefördertes Kunstprojekt anzuwenden. Ich hoffe, dass dieser Bericht für andere Theatermacher inspirierend und motivierend sein wird.

Ich bin Musikkomponist und Theaterregisseur und arbeite seit mehr als 20 Jahren freiberuflich. Ich bin es gewohnt, meinen Erfolg nicht dem Zufall zu überlassen. Ich habe zum Beispiel auf die harte Tour gelernt, dass es nicht hilft, auf die Arbeit eines PR-Agenten zu hoffen. Es ist viel effektiver, Inhalte anzubieten, über die die Journalisten selbst schreiben wollen.

Vor einigen Jahren begann ich, mein Interesse an Musiktheater und Oper mit meiner Liebe und Neugier für neue Technologien zu verbinden. Nachdem ich erfolgreich mit GPS-sensitiven Smartphone-Apps zur Wiedergabe und Anpassung von Musik in Abhängigkeit vom Standort des Benutzers experimentiert hatte tauchte ich in die Welt der virtuellen und erweiterten Realität ein.

Das Auftauchen der Ruine des ehemaligen Heizkraftwerks in München-Aubing in meinem Leben führte zu dem, was heute als die erste Mixed-Reality-Oper der Welt  MAYA (2017) bekannt ist, ein Unterfangen, das ich – trotz der öffentlichen Förderung – unternehmerisch umsetzen musste. Und warum? Weil sich die Produktion als viel kostspieliger herausstellte als die unter normalen Umständen sehr reichhaltige Summe, die ich von der öffentlichen Kunstförderung (ca. 119.000 EUR, Förderer s.u.) bewilligt bekam. Schon bald musste ich feststellen, dass ca. 24.000 EUR fehlten. Dieses fehlende Budget musste durch den Kartenverkauf finanziert werden und ging vollständig auf mein persönliches Risiko.

Normalerweise rechnen solche unabhängigen Theaterprojekte nicht wirklich mit dem Kartenverkauf, da sie ein Publikum von 50-100 Personen pro Vorstellung haben. In meiner Situation musste ich plötzlich mindestens 1.200 Karten für 5 Vorstellungen verkaufen, um gerade noch die Kosten zu decken. Niemand glaubte, dass dies auch nur im Entferntesten möglich sein würde, zumal der Standort weit vom Stadtzentrum entfernt ist.

 

Um 1.200 Personen für ein freies experimentelles Musiktheater-Projekt zu gewinnen, muss man weit über das bekannte Publikum hinausgehen. Man muss ein neues Publikum erreichen. Dieser Aspekt hat mir sehr gefallen.

Um 1.200 Personen für ein freies experimentelles Musiktheater-Projekt zu gewinnen, muss man weit über das bekannte Publikum hinausgehen. Man muss ein neues Publikum erreichen. Dieser Aspekt hat mir sehr gefallen.

Die erste Maßnahme, die ich ergriffen habe, war die Gründung der haftungsbeschränkten Sofilab UG, um das private Risiko zu minimieren. Es schien mir durchaus möglich, dass ich aus unerwarteten Sicherheitsgründen Shows absagen musste. Dies hätte zu der unglücklichen Situation geführt, dass ich nicht nur keine Einnahmen aus dem Ticketverkauf erhalten hätte, sondern auch rechtlich gezwungen gewesen wäre, die bis dahin bereits ausgegebenen Gelder zurückzuzahlen.

Die Sofilab UG fungierte als Produzentin von „MAYA“ und engagierte mich als Komponisten, Regisseur, Projektleiter und Geschäftsführer. Ich übernahm auch die Positionen des PR-Agenten und des Buchhalters. Ich leitete ein Team von 14 Künstlern und 15 Technikern und koordinierte mehrere Dienstleistungs- und Geschäftspartner.

Eine der wichtigsten Entscheidungen war das Produktdesign selbst: Wir wussten, dass nicht meine Musik oder die fantastische Sängerin Martina Koppelstetter oder was auch immer normalerweise oben drauf steht das eigentlich Interessante sein würde, sondern das Versprechen, etwas sehr Ungewöhnliches und Einzigartiges an einem ganz besonderen Ort zu erleben: der letzten Industrieruine Münchens. Ihre Existenz in dieser gentrifizierten Stadt ist völlig unerwartet. Sowohl im Stück selbst als auch im Kommunikationsmaterial (entworfen von Anja Gerscher) wurde also die Ruine zum Hauptdarsteller. Statt bloßer Information und Werbung nutzten wir den Flyer dazu, die Menschen sofort in die Welt der Geschichte hineinzuziehen. Auf dem Plakat kombinierten wir ein Foto des Ortes mit dem Titel „MAYA“ und dem Hinweis „Mixed-Reality-Techno-Oper“. Das war’s, keine Namen, weder meine noch irgendwelche.

Klar, es war nicht nur der Ort. Wir kombinierten die verrottete Location mit super-geekiger Augmented-Reality-Technologie auf den Smartphones der Zuschauer, mischten klassische Oper mit elektronischer Musik und umrahmten das Ganze mit einer dystopischen Science-Fiction-Geschichte (Text: Thomas Jonigk). In gewisser Weise verhielten wir uns wie Teenager, die all ihre Lieblingsspielzeuge und -geräte zusammenbringen. Eine anarchische Qualität, die für die Energie der gesamten künstlerischen Entwicklung wichtig war, eine positive Energie, die auch von außen zu spüren war

 

Diese einzigartige Kombination von Merkmalen war der Grund dafür, dass die Zeitungen gerne darüber schrieben, ohne dass ich sie anrufen oder anbetteln musste. Das Projekt erhielt schon lange vor der Premiere ganzseitige Artikel mit mehreren Bildern, was das Interesse noch weiter steigerte und noch mehr Medien dazu veranlasste, noch mehr darüber zu schreiben. Der letzte Artikel in der Süddeutschen Zeitung am Tag vor der Premiere schaffte es sogar auf die Nachrichtenbildschirme in den U-Bahnen und Bahnhöfen und erreichte Zehntausende von Menschen.

Bei den sozialen Medien habe ich eine langfristige Strategie verfolgt. Bereits Monate vor den Aufführungen begann ich, für gesponserte Beiträge zu zahlen, kontinuierlich, aber auf niedrigem Niveau. Über die Zeit hinweg experimentierte ich mit dem Targeting, so dass ich eine Vielzahl von Menschen erreichte. Der Beitrag fühlte sich nicht wie dicke Werbung an und zeigte einen Video-Teaser (von Felix Hentschel), der die Leute neugierig machte. Der Beitrag wurde gemocht, kommentiert und geteilt. Auf meinen Künstlerseiten gab ich Einblicke in den Entwicklungsprozess, schrieb Blog-Artikel und verschickte redaktionelle Inhalte über meinen Newsletter. Alles in allem habe ich nur ein paar hundert Euro für Werbung in sozialen Medien ausgegeben, aber einen Großteil des Publikums dadurch gewonnen.

Kostenkontrolle muss nicht mit Einschränkungen einhergehen.

Wir setzten die Eintrittspreise höher an als bei einem regulären Kinobesuch, aber niedriger als bei hochkarätigen Konzerten. Wir wollten, dass die Menschen das Gefühl haben, dass dies etwas Besonderes und dennoch etwas Zugängliches ist. Die Kartenpreise wurden auf 25 EUR und 15 EUR für Studenten und Kinder festgelegt.

Einer der Gründe, warum ich gerne mit privaten Partnern außerhalb des Konzertsaals arbeite, ist, dass man sofort ein neues Publikum erreicht. Ich bin in Apotheken, Einkaufszentren, Reisebüros und Kunstmuseen aufgetreten, die alle ihr Publikum in das Projekt einbrachten. In diesem Fall ist die Ruine im Besitz der Allguth GmbH, einer lokalen Mineralölgesellschaft, die 30 Tankstellen in der Region München betreibt. Sie haben mir nicht nur erlaubt, ihre Ruine zu bespielen, sondern auch ihre Tankstellen für Werbung zu nutzen, Plakate in die Fenster zu hängen und Flyer auf ihren Bistrotischen zu hinterlassen. Tausende von Kontaktstellen pro Tag kostenlos.

 

Kostenkontrolle muss nicht mit Einschränkungen einhergehen. Es ist mir gelungen, Partnerschaften zu schaffen, die nicht nur für beide Seiten vorteilhaft waren, sondern auch Maßnahmen zur Entwicklung des Publikums darstellten. So musste beispielsweise handwerkliche Arbeit geleistet werden, um die Ruine zu sichern. Im Dorf Aubing befindet sich ein Ortsverband des Technischen Hilfswerks THW. Die zu erledigenden Handwerksarbeiten gehören zu deren Aufgaben und sie waren daran interessiert, die Ruine als Ausbildungsstätte für ihre Jugend zu nutzen. Der Trainingstag brachte ihnen abenteuerliche Erfahrungen, ich bekam kostenlose Notausgangstüren und das Ganze machte unser Projekt unter der örtlichen Jugend bekannt.

Auf einer ähnlichen Ebene schloss ich eine Partnerschaft mit einer neuen Bar, die etwa zeitgleich zu unseren Shows eröffnet wurde. Sie nutzten unser Publikum zur Werbung für ihre Bar, und wir bekamen hippe und leckere Getränke. Und ihr Publikum!

Einer der wichtigsten Multiplikatoren war nicht gerade beabsichtigt, aber sehr willkommen. Unsere Idee, eine AR-App zu verwenden, entstand aus unserer frühen Beobachtung, dass jeder, der das Gebäude betritt, sein Smartphone herauszieht, um Fotos zu machen. Durch unsere AR-APP (kreiert von Klasien van de Zandschulp und Luciano Pinna) ermutigten wir die Zuhörer noch mehr, ihre Smartphones zu benutzen anstatt sie wegzustecken. Da die Location enorm „instagrammable“ ist, führte dieses Verhalten zu einer riesigen Welle von Social Posts. Zusammen mit der Mundpropaganda wuchs das Publikum von Show zu Show so schnell, dass wir Leute nach Hause schicken mussten, weil wir ab der 3. Vorstellung ausverkauft waren.

Ich bin stolz darauf, dass ich diese Leute erreicht und mit Kunst in Berührung gebracht habe, die normalerweise mit einem Nischenpublikum verbunden ist.

 

Am Ende habe ich mehr als 1.500 Karten verkauft. Unser Publikum bestand aus allen Altersgruppen und einer breiten Mischung von Interessen. Ich bin sogar der festen Überzeugung, dass die Hälfte des Publikums normalerweise nicht ins Theater oder gar in die Oper geht. Ich bin stolz darauf, dass ich diese Leute erreicht und mit Kunst in Berührung gebracht habe, die normalerweise mit einem Nischenpublikum verbunden ist.

Wir hätten noch mehr Vorstellungen spielen können, wenn es technisch möglich gewesen wäre. Ich bin ein großes persönliches Risiko eingegangen, aber ich war erfolgreich. Der Erfolg resultiert aus einigen richtigen Entscheidungen, einem super motivierten Team, wohlgesonnenen Umständen und purem Glück.

Es hat ein Jahr gedauert, bis sich mein Nervensystem wieder entspannt hat. Aber ich würde es wieder tun. Und insgeheim tue ich es bereits.

 

Autor: Mathis Nitschke

MAYA wurde gefördert durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München, den Fonds Darstellende Künste der Bundesregierung Deutschland und den creative industries fund Niederlande. Mit freundlicher Unterstützung des Königreichs der Niederlande und des Bezirksausschusses 22 Aubing – Lochhausen – Langwied. Dank an Allguth GmbH.