Mit Interstellar 227 im doublespace

Doublespace. Doppelraum. Zwei Seiten einer Medaille. Das Hier und Jetzt. Der Space, der Raum, das Unerwartete, die Zukunft, das, woran wir noch nicht glauben. Können. Wollen. Verhext unsere Ahnungslosigkeit aus Unwissenheit.

Entrückt.

Aus der Welt in die Welt. Wo sind wir? Wo leben wir? Wozu das alles?

Köln am Wochenende, an einem Freitag. Die Premiere von Interstellar 227 in der Alten Feuerwache. Wir haben uns ein Hotelzimmer in Deutz genommen, sind ein kurzes Stück U-Bahn ohne Ticket gefahren und den Rest gelaufen. Labor Ebertplatz lag auf dem Weg, dort haben wir Judith getroffen, die gerade mit einer Ausstellungseröffnung beschäftigt war. Bilder aus geschreddertem Geld. Ein Mandala aus den Resten des Glaubens an Materialität. Der Übergang vom Glauben aus Papier ins existentielle Moment der Sinnlichkeit.

Wir hatten wenig Zeit, das Weltall wartete auf uns. Auf Facebook hatte ich über einen Kulturservice Karten gewonnen. Das Leben ist irreal.

Barbara Schachtner. Dorrit Bauerecker.

Wir hatten Supernova der beiden im Theater der Keller gesehen und auch vorher schon eine Performance/ ein Konzert/ ein Theaterstück im Rhenania im nächtlichen Schatten der Kranhäuser.

 

Die beiden beherrschen ihre Metiers. Dorrit virtuos die Tasten von Akkordeon, Flügel, Mini-Piano. Barbara ihre Stimme und alles, was Körper klingen lässt.

Ich wusste nicht, was auf uns zukommen würde. Ich bin ein musikalisch Unbedarfter, der nur auf das hören kann, was geschieht. Das ist bei Interstellar 227 eine Menge.

Viele waren an dieser Produktion, die wie ein Stern vom Himmel gefallen ist, beteiligt. Norbert van Ackeren hat das Bühnenbild geschaffen. Den Raum, die Konvention, das Vereinbarte gesprengt. Mit Aufwand, wie wir beim gemeinsamen Abbau des Bühnenbildes am späten Samstagabend erfahren konnten.

Ein Karreé, ein Viereck, ein Geviert. Herabgefallen aus dem Universum, bestückt mit Aliens einer fremdem und doch bekannten Klangwelt. Grün, Stiefel mit Plateau-Sohlen, gehüllt in transparente Kunststoffstreifen. Wesen nicht von dieser Welt und doch.

 

Der Lauf eines extraterrestrischen Abends. Klänge, von Sensoren ausgelöst. Sensoren in Barbaras Handschuh. Die Interpretationen von Kompositionen für diese Aufführung geschaffen.

„INTERSTELLAR 2 2 7 hat mit den Komponisten Christina C. Messner und Roman Pfeifer zwei Verbündete für die Mission gefunden. Musik und Text weiterer Schöpfer*innen fließen in diese elektrisierende Performance aus Musik, Choreographie und Licht mit ein.“

 

Wir Erdlinge sitzen als Unwissende um das Karreé herum und sehen und staunen. Musik, Klänge, neue Dimensionen, das Bewegen in Richtung Mars. Das Alte trifft das Neue, das Bestehende das Zukünftige. Neue Musik, über Grenzen gehen, Grenzen ausloten, Genre vermischen. Ist das eine Oper, wenn die Musikerinnen spielen? Ist das szenisch musikalisches Theater? Ist das ein inszeniertes Konzert? Oder eine musikalische Performance?

Interstellar 227 ist so mutig, neu, konsequent, leidenschaftlich, anders. Ich saß dort mit offenem Mund und wusste nicht, wie mir geschieht. Supernova war noch eher Klang und Spiel, doublespace waghalsige neue Musik. Wechselten die Szenen, kamen die beiden mir vor wie Sniper, die ihre Instrumente aus dem Regal holen, um zu tun, was getan werden muss. Der Musik Bahn brechen.

Da hilft es, im Kostüm von Aliens zu agieren, weil man dann eh fremd ist und der Himmel keine Grenze. Das Gewohnte, die hässliche Konvention sprengen und doch das schöne Alte in Form des Liedes einbinden. Es sind gefühlvolle Wesen, diese Aliens, die uns haben teilhaben lassen. Brücken bauen, Seelen streicheln, Gehör fordern.

 

Ich war irgendwo draußen im Space unterwegs mit diesen Aliens. Und ich habe mich wohl gefühlt, aufgehoben, an die Hand genommen. Ein sehr fürsorglicher Umgang mit dem Neuen, verantwortungsvoll, schön.

Und gewaltig. Ein starker Eindruck, Impetus. Gravierend, relevant. Nichts, was einfach so vorübergeht.

Sie haben eine weitere Stufe erklommen, Komponisten*innen als Begleiter auf ihrer Sternenreise gewonnen. Und sicherlich zahlreiche Fans. Alle Plätze waren besetzt, der Applaus war lang. Es muss ein gutes Gefühl sein, in seinem Leben etwas so Besonderes auf die Beine gestellt und auf die Bühne gebracht zu haben.

doublespace gab es zunächst nur an zwei Abenden. Anfang nächsten Jahres wird es einen Termin in Bonn geben. Und dann hoffentlich noch mehr. Denn es braucht Menschen, die den Raum sprengen und ihn gleich einfach mal um einen zweiten erweitern. Ich liebe es, Menschen zu sehen und zu erleben, die den Blick nach vorne richten. Die Weg bahnen und bereiten für Neues, die Türen öffnen im Hören und Denken.

 

Interstellar 227 doublespace ist wertvoll. Atemberaubend sinnstiftend. Ich wünsche euch, den Abend einmal zu erleben.

Im Sommer 1990 war ich auf dem Weg nach Köln ins Theater. Die Vorstellung fiel aus und ich lief planlos durch die Innenstadt. Dom, Fußgängerzone. Da entstand am Abend Zuhause der Text: Das Spiel, die Realität, die Wirklichkeit und das Leben.

 

Ein ähnliches Gefühl hatte ich an diesem Wochenende. Das meinte ich zu Beginn des Beitrags mit dem Wort entrückt. Als ich Samstagnacht wieder aufs Land kam, war ich ziemlich geschafft. Zu viele Eindrücke. Das Hotel, Deutz, das Labor, die Feuerwache, Interstellar. Am nächsten Tag Flohmarkt an der Pferderennbahn, der erste Besuch in Max WG, die Sperren des Köln-Marathon umfahren, ein Spaziergang am Rhein, Essen im Offenbach, das Abbauen des Bühnenbildes.

Wo steht man im Leben? Was macht das Leben mit einem? Was macht man mit dem Leben? Es vorbeiziehen lassen oder formen? Ich möchte es so intensiv spüren wie am Wochenende. Ich möchte das Neue und das Alte sehen, möchte die Dinge verknüpfen und das Denken fliegen lassen. Alles miteinander verbinden. Das erzeugt Sinn. Ich mag es, wenn die Dinge aufgehen und Sinn ergeben. Wie auch immer.

 

Autor: Jens Schönlau