Solidarisierung als kulturelle Resilienz
Die politische Entwicklung in Deutschland und weltweit gibt Anlass zur Besorgnis. Rechte und neoliberale Ideologien gewinnen an Einfluss, autoritäre Regierungen greifen gezielt in die Freiheit von Kunst und Kultur ein. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und kulturelle Teilhabe wird zunehmend eingeschränkt – oft schleichend, manchmal mit direkter Offenheit. Wo das Offene, das Vielfältige, das Zweifelnde, das Widersprüchliche Platz haben sollten, werden Grenzen gezogen, Zugehörigkeiten definiert, Abweichungen sanktioniert und zensiert. Polizei- und Staatsgewalt greifen ein, wo Künstler*innen auf Missstände hinweisen. Fördergelder werden an Loyalität geknüpft, unbequeme Stimmen marginalisiert. Spätestens mit der Bundestagswahl 2029 könnten illiberale Kräfte die Kunstfreiheit weiter einschränken, Fördermittel an politische Loyalität binden und bestimmen, was „förderungswürdige Kunst“ ist. Eine Kulturpolitik, die Freiheit durch Ideologie ersetzt, konterkariert die Grundlagen einer offenen Gesellschaft. Kunst ist kein Ornament, sondern Prüfstein der Demokratie.
Bereits heute werden die Mittel, die Kunst ermöglichen, mancherorts politisch intendiert beschnitten. Öffentliche Förderung schrumpft, Budgets werden gekürzt, Projekte gestrichen. Diese Einsparungen sind kein Verwaltungsakt – sie sind ein politisches Signal und sagen: Kultur ist verzichtbar,. Teilhabe zweitrangig. Freie und kritische Kunst ist an Bedingungen geknüpft. Doch Kultur darf sich nicht in Konkurrenz zerreiben. Förderlogiken, die Künstler*innen gegeneinander ausspielen, zerstören das Gemeinsame. Wenn der Druck der Knappheit jeden in den Überlebensmodus zwingt, bleibt keine Kraft für eine freie und vielfältige Kulturlandschaft.
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verschärfen diese Entwicklungen zusätzlich. Globale Krisen – ökologische, ökonomische und politische – wirken sich direkt auf kulturelle Arbeit aus. Autoritäre Tendenzen, soziale Ungleichheit, ökonomischer Druck und die Kommerzialisierung kultureller Räume führen zu einer Situation, in der Kunstschaffende zunehmend in prekären Strukturen arbeiten. Viele kämpfen mit Überlastung, unsicheren Einkommen und der ständigen Notwendigkeit, sich selbst und ihre Arbeit zu legitimieren. Die Systeme, in denen Kunst entsteht, sind häufig so gestaltet, dass sie Kreative erschöpfen, statt sie zu stärken.
Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, wie wir als Gesellschaft – und insbesondere als Kulturschaffende – darauf reagieren.
Wie können wir unsere Handlungsfähigkeit zurückgewinnen – die Fähigkeit, in Krisen verantwortungsvoll und solidarisch zu agieren – ohne alte Machtstrukturen zu reproduzieren?
Wie können wir Künstler*innen, insbesondere jene an den Rändern, so unterstützen, dass neue Formen von Zusammenarbeit und Fürsorge entstehen?
Und wie können unsere Publika Teil dieses Prozesses werden – nicht nur als Gäste, sondern als Mitgestaltende eines langfristigen, achtsamen und gegenseitig tragenden Miteinanders?
Solidarity involves commitment, and work, as well as the recognition, that even if we do not have the feelings, or the same lives, or the same bodies, we do live on common ground.
Diese Fragen sind keine Theorie, sondern die Grundlage solidarischer Kulturarbeit. Solidarität ist kein Zustand, sondern ein Tun – ein Verb. Wer „solidarisch ist“, bleibt passiv; wer „solidarisiert“, handelt, teilt, interveniert. Sie zeigt sich nicht in Worten oder Programmtexten, sondern im alltäglichen Handeln: in der Unterstützung angegriffener Kolleg*innen, in der Öffnung von Räumen, in der Weigerung, sich spalten zu lassen. Solidarität darf nicht als moralischer Appell verstanden werden, sondern als konkrete Handlungspraxis – als Bereitschaft, Verantwortung zu teilen, Ressourcen gemeinsam zu nutzen, Machtverhältnisse zu hinterfragen und Privilegien abzugeben.
Fürsorge und Solidarität sind immer politisch und untrennbar mit Verantwortung verbunden: Sie erkennen Erschöpfung und strukturelle Ungleichheiten, teilen Verantwortung, schaffen Bedingungen für freie und vielfältige Kunst und Kultur, widersprechen einer rein ökonomischen Bewertung von Kunst und stellen das Gemeinsame, das Gesellschaftliche, in den Mittelpunkt. Solidarität bedeutet, Ressourcen zu teilen, Privilegien weiterzugeben und Verantwortung nicht abzuschieben.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Kulturschaffende und Institutionen ihre Handlungsfähigkeit bewahren und ihre Verantwortung wahrnehmen können, ohne bestehende Machtstrukturen zu reproduzieren. Es geht darum, Strukturen zu entwickeln, die Kooperation und gegenseitige Unterstützung fördern, anstatt Wettbewerb und Abhängigkeit zu verstärken. Dazu gehört auch, Künstler*innen, insbesondere jene, die an den gesellschaftlichen Rändern arbeiten, gezielt zu unterstützen – nicht über kurzfristige Förderlogiken, sondern durch langfristige, faire und gemeinschaftlich getragene Modelle.
Die Verantwortung der Kulturschaffenden endet nicht mit dem eigenen Werk. Sie beginnt bei den Arbeitsbedingungen, in denen Kunst entsteht, und bei den Entscheidungen darüber, wer Zugang zu welchen Räumen und Ressourcen erhält. Kunst kann gesellschaftliche Krisen nicht lösen, aber sie kann sie sichtbar machen, zur Reflexion anregen und neue Perspektiven eröffnen. In einer Zeit, in der demokratische und offene Strukturen unter Druck geraten, bleibt Kunst ein zentraler Ort, an dem Begegnung, Freiheit, Vielfalt und kritisches Denken gelebt werden können.
Text: Julian Rieken