Concert Studies

Historisches Material bildet nach wie vor den Fokus des Musikstudiums. Sowohl der Aufführungsrahmen in seiner ästhetischen und rituellen Form, als auch seine soziale und kulturelle Funktion wird selten thematisiert. Im Zuge der Formierung der Concert Studies muss es auch darum gehen, musikpraktisch an der Zukunft des Konzertwesens zu forschen.

Historisches Material bildet nach wie vor den Fokus des Musikstudiums. Sowohl der Aufführungsrahmen in seiner ästhetischen und rituellen Form, als auch seine soziale und kulturelle Funktion wird selten thematisiert (vgl. Bishop / Tröndle 2018). Der Fokus der Ausbildung liegt auf interpretatorischen und instrumentalen Fragen im Hinblick auf eine Konzerttätigkeit und auf der Fähigkeit, eigene Interpretationswege zu finden. Die Musiker sind an einer zeitgemäßen und für sie stimmigen Interpretation interessiert und betreiben dafür »Interpretationsforschung«.

Dabei steht eine Werkzentrierung im Mittelpunkt. Verstärkt wird diese durch die permanente Vergleichbarkeit vorliegender Einspielungen »großer« Interpreten, an denen sich ein jeder Ausführende misst. Hinzu kommen die Wettbewerbe, sie filtern die Akteure nach dem Kriterium der perfekten technischen und musikalischen Ausführung. Alles konzentriert sich auf das »Werk« und seine Ausführung, wenig Licht fällt auf den Rahmen der Aufführung. Die Komponisten interessieren sich zwar für neue Settings und entwickeln neue Aufführungskonzepte. Eine Rückwirkung der Arbeit der Komponisten im 20. Jahrhundert, die mit Aufführungsformaten experimentierten, auf den Klassikbetrieb findet allerdings kaum statt. Dazu kommt, dass die Neue Musik weitgehend in Festivals und Sonderveranstaltungen separiert und im Konzertbetrieb selbst marginalisiert ist. Und die Musikwissenschaften? Auch sie konzentrieren sich in ihrer Forschung zum Konzert zumeist auf die Erforschung von Vergangenem oder Bestehendem. Ihr Vorgehen ist vergleichend und systematisierend und richtet sich primär auf bereits Geschehens und selten auf zukünftig Mögliches. Im Vordergrund steht die Werkanalyse und nur gelegentlich finden Forschung und Experimente für mögliche zukünftige Aufführungsformate statt.

Es geht also um eine künstlerische Forschung bei der mit, im und durch das Material - nämlich der Aufführung selbst - an dem Aufführungskonzept gearbeitet wird.

 

Pointiert lässt sich sagen, dass »Forschung und Entwicklung« in der Kunstmusik hauptsächlich werkimmanent stattfindet, nämlich bei der Komposition oder Interpretation neuer Werke. In der Bildenden Kunst wird hingegen der Ausstellungskontext thematisiert und fließt in das Medium der Darbietung mit ein. Die Museen und Ausstellungshäuser verdanken ihre Karriere im 20. Jahrhundert sogar in weiten Teilen dieser Auseinandersetzung, die unter dem Titel »Museum Studies« seit nunmehr knapp einhundert Jahren existiert. Aus dieser vergleichenden Perspektive lässt sich sagen, dass die Beschäftigung mit der »Kultur der Aufführung« in der Kunstform und Institution Konzert weitgehend unterkomplex behandelt wird.

Im Zuge der Formierung der Concert Studies kann es daher nicht nur darum gehen, Musik, Musikproduktion und den Musikgebrauch in all ihren Dimensionen wissenschaftlich zu analysieren, sondern es muss auch darum gehen, musikpraktisch an der Zukunft des Konzertwesens zu forschen. Es geht also um eine künstlerische Forschung bei der mit, im und durch das Material - nämlich der Aufführung selbst - an dem Aufführungskonzept gearbeitet wird. Damit bildet sich ein neuer, selbstbewusster Musikertypus, der nicht nur reproduzierend, sondern auch künstlerisch produzierend tätig ist.

 

Autor: Martin Tröndle