trugschluss #16: other other

Musikperformance ohne Instrumente: feinste körperliche Impulse wie durch ein Brennglas medial vergrößert. Musik nicht in erster Linie als Sound zu denken - das ist das musikalische Selbstverständnis der beiden Composer-Performerinnen Yiran Zhao und Kirstine Lindemann.
Akteure und Orte
Künstler
(Künstlerische Leitung)
Publikum
Raum

Musik nicht in erster Linie als Sound zu denken - das ist das musikalische Selbstverständnis der beiden Composer-Performerinnen Yiran Zhao und Kirstine Lindemann. Ihr Augenmerk liegt auf Nuancen körperlicher Bewegungen und Gesten, die stilisiert, wiederholt, sonifiziert und medial verstärkt werden können. Mittels Kontaktmikrofonen, Projektionen, Live-Elektronik und Licht übertragen sie ihre eigene physische Präsenz in den ganzen Raum. Wie ihre Musikkonzepte Konzertkonventionen sprengen, zeigt die Arbeit SHH I: ein Solo für einen Besucher-Kopf, wobei die nach musikalischen Parametern absolvierte Kopfmassage das innere Gehör anregt und die Sinne für akustische Feinheiten schärft. Daran schließen ein Live-Programm und installative, interaktive Arbeiten an, die Zhao und Lindemann während einer trugschluss-Residency im Januar entwickelten. Stücke wie "other eye" oder "other hand" sensibilisieren für eine Wahrnehmung körperlicher Organe in musikalischem Kontext. Zwischen Schattenspiel und grafisch-visuellen Gestaltungsformen zeichnet trugschluss einen Abend in minimalistischem Schwarzweiß.

 

Musikalisches Programm

Yiran Zhao (*1988): SHH I, Solo für einen Kopf

Yiran Zhao & Kirstine Lindemann (*1988): other eye, für 2 Performer mit Verstärkung, Video und Licht

Yiran Zhao: 90 DEGREES, für Performer, Zuspielung und 2 Videos

Kirstine Lindemann: Can you hear me?, für Performer, Lautsprecher, Licht und Stimme [UA]

Yiran Zhao & Kirstine Lindemann: other hand, für 2 Performer, Zuspielung und Licht [UA]

Yiran Zhao: 摇曳 yáoyè #3, Installation und Performance

Besetzung

Yiran Zhao / Komposition, Performance

Kirstine Lindemann / Komposition, Performance

trugschluss-Kollektiv / Szenografie, Konzept, Dramaturgie

Das Publikum steht bereits vor den Kabinen Schlange um das erste Stück im Programm zu hören: SHH I – Solo für einen Kopf von Yiran Zhao. [...] In der Mitte der Halle befindet sich eine große Plattform, gebaut aus Bierkisten und einer Metallplatte. Wer sich „SHH I“ nicht anhören möchte, nimmt dort Platz und trinkt eine Tasse Tee, der umsonst ausgeschenkt wird oder macht am Eingang einen Sehtest. [...]

Emma Herda, MusikTexte

Nachgefragt

Welche besonderen gestalterischen Mittel wurden eingesetzt und warum? Welches dramaturgische/szenische Konzept wurde verfolgt?

Das künstlerische Interesse der Composer-Performerinnen Yiran Zhao und Kirstine Lindemann galt dem eigenen Körper: feine, oftmals subtile Körperbewegungen wurden mittels unterschiedlichen Medien vergrößert und für das Publikum wahrnehmbar gemacht. Dies war der Ausgangspunkt für ein Gesamtkonzept, das auf die eigene Körperwahrnehmung der Besucher*innen abzielte. So lag ein dramaturgisches Hauptaugenmerk auf einer inszenierten Einlasssituation, in der die Sinne der Besucher*innen geschärft wurden: in kleinen, in Wohnzimmer-Flair eingerichteten Kabinen konnte das Publikum die musikalischen Kopfmassagen der Performerinnen erleben. Zudem hat das trugschluss-Kollektiv ein Setup enworfen, das den Besucher*innen eine Form von Sehtest sowie eine Hand-Arm-Massage angeboten wurde - mit Bezugnahme auf die am späteren Abend präsentierten Arbeiten "other eye" und "other hand". Zentrum des Raumes bildete eine große, in Form eines Organs geformte Tischplatte, die Sitzgelegenheit und zugleich Ort für eine Teezeremonie war, die sich durch den Abend zog - eine subtile Anlehnung an spirituelle und achtsamkeitsschärfende Rituale. Den Abschluss des Abends bildete eine den gesamten Raum einnehmende Sound-Meditation, an der die Besucher*innen mit verbundenen Augen und mitunter auf Teppichen liegend teilgenommen haben.

Beschreibt den künstlerischen und kreativen Entstehungsprozess.

Ausgangspunkt war das künstlerische Interesse an den Arbeiten der jungen Composer-Performerinn Yiran Zhao. In den ersten Konzeptionsgesprächen konkretisierte sich die Ideen, einen ganzen Abend mit dem Duo Zhao-Lindemann zu entwickeln. Im Zentrum standen Gemeinschaftskompositionen, die u.a. neu entstanden und bei trugschluss uraufgeführt worden sind. Hierfür konnte trugschluss den beiden Composer-Performerinnen eine mehrtätige Residency als Arbeitsphase ermöglichen. Die dramaturgischen Ideen - insbesondere das spezifische Setting der Einlasssituation - stießen bei den Künstlerinnen sofort auf Zuspruch.

Welche Erfahrungen in Bezug auf dieses Projekt könnt Ihr mit anderen teilen? Was war positiv, was war negativ? Was hat funktioniert, was nicht?

Dramaturgische oder inszenatorische Rahmungen musikalischer Programme werden oftmals kritisch betrachtet , da sie den Fokus von der Musik auf Nebensächliches zu lenken drohen. In diesem Fall gingen die szenischen Aspekte, die sich im ständigen Dialog mit den Künstlerinnen entwickelten, vom künstlerisch-ästhetischen Kern des Programms aus und vermittelten die kompositorischen Intentionen auf eine spielerische Weise und unter Verzicht auf vermittelnde Texte und Einführungen.

Welche Parameter haben Euch eingeschränkt, was die größte Herausforderung? Wie seid ihr damit umgegangen? 

Als problematisch angesehen werden kann die Tatsache, dass für die Entwicklung, Einrichtung und Detailgestaltung der Szenografie wenig Raum und Zeit bleiben, da der Mietzeitraum des Veranstaltungsorts mangels finanzieller Mittel nicht beliebig verlängert werden kann und die technische Einrichtung sowie die musikalischen Proben Priorität haben. Da die Szenografie ohnehin - dem Programminhalt entsprechend - im minimalistischen Schwarzweiß konzipiert war, konnte das räumliche Setup auch in kürzester Zeit eingerichtet und fertiggestellt werden.

Was habt Ihr persönlich aus diesem Projekt gelernt?

Wenngleich es der grundlegende Wunsch ist, möglichst viele Besucher*innen für die eigene Veranstaltung gewinnen zu können, hat sich in diesem Fall gezeigt, dass mit kleineren Publikumsmengen von ca. 50 Personen ganz besonders atmosphärische, intime und sinnliche Situationen geschaffen werden können, bei denen die Besucher*innen auch untereinander in Austausch kommen.

Förderer